99% aller E-Scooter in Österreich illegal?

250 anstatt 600 Watt Nenndauerleistung: Dieser Extrem-Stunt könnte viele E-Scooter-Fahrer in Österreich zu Fall bringen. Sind tatsächlich tausende E-Scooter illegal unterwegs? Fakten und Expertenmeinungen zu den möglichen Folgen.

Was ist da los im E-Scooter-Land Österreich? Jahrelang haben deutsche Scooter-Fahrer neidvoll auf die (scheinbar) großzügigere Gesetzgebung in Österreich geblickt. Deutschland: Begrenzung auf 20 km/h und 500 Watt Nenndauerleistung. Österreich: Maximal 25 km/h und 600 Watt Nenndauerleistung – oder etwa doch nicht?

Vorweg: 600 Watt – das ist offenbar falsch. Die bisherige Interpretation, dass es sich dabei um die Nenndauerleistung handle, ist hinfällig. Erlaubt sind gemäß aktueller Fassung (41. Novelle) des KFG 1967 nur E-Scooter mit einer Bauartgeschwindigkeit bis 25 km/h – und maximal 250 Nenndauerleistung.[1] Das wirft viele Fragen große Unsicherheiten auf für Leih-Scooter-Anbieter, E-Scooter-Händler und tausende private E-Scooter-Fahrer.

Wie es dazu gekommen ist und welche Auswirkungen zu erwarten sind: Wir haben dazu in Gesetzestexten in KFG und StVO[2] recherchiert, ein Statement von Mag. Matthias Wolf vom Rechtsdienst des ÖAMTC eingeholt[8] und E-Scooter-Händler befragt[11]. Außerdem eine Stellungnahme des Bundesministerium für Inneres eingeholt, welches für den Beschaffungsprozess der E-Scooter für die Polizei verantwortlich ist.[9] Alle Angaben dennoch ohne Gewähr.

Tipp: Illegal, alles egal? Diese E-Scooter sind garantiert ohne Zulassung und bieten deutlich mehr Fahrspaß abseits öffentlicher Wege.

E-Scooter in Österreich: 250 Watt anstatt 600 Watt Nenndauerleistung

  • Die Fakten: Österreich hat E-Scooter in der StVO und im österreichischen Kraftfahrgesetz 1967 geregelt und als Fahrrad definiert[3] – womit die Gesetzgebung für Fahrräder und E-Scooter unmittelbar zusammenhängt. Und eben dieses Kraftfahrgesetz wurde im April 2023 abgeändert, um Unsicherheiten aufgrund der Diskrepanz zwischen KFG 1967 und der EU-Verordnung Nr. 168/2013 auszuräumen.[4] In der KFG-Fassung bis 20.04.2023 war eine „höchste zulässige Leistung von nicht mehr als 600 Watt“ festgelegt[5], mit der im Parlament verabschiedeten neuen Fassung, gültig ab 21.04.2023, heißt es nun Nenndauerleistung von nicht mehr als 250 Watt“.[1] Nur Fahrzeuge unter dieser Leistungsgrenze werden nicht als Kraftfahrzeuge (die angemeldet/versichert werden müssen) definiert, sondern als Fahrräder/E-Bikes im Sinne der StVO.
  • Die Fehlinterpretationen: Mit der 31. StVO-Novelle (Juni 2019) wurde der neue §88b „Rollerfahren“ in der Straßenverkehrsordnung eingefügt.[2] Darin wurde wie erwähnt eine „höchste zulässige Leistung von nicht mehr als 600 Watt“ festgelegt. Diese 600 Watt wurden bisher von allen Stellen als maximale Nenndauerleistung interpretiert (Leistung in Watt, die der Motor über einen Zeitraum von 30 Minuten dauerhaft abgeben kann) und nicht als „Peak-Leistung“. Gemeint war seitens des Gesetzgeber aber offenbar, dass diese 600 Watt die Peakleistung (nur kurzfristig erreichbare Maximalleistung) darstellen soll.
  • Das Dilemma: In den Erläuterungen der aktuellen 41. KFG-Novelle vom April 2023 wurden Annahmen getroffen, die unrealistisch erscheinen: „Für Fahrzeuge, die die bisherigen Kriterien erfüllt haben (höchste zulässige Leistung nicht mehr als 600 Watt und Bauartgeschwindigkeit nicht mehr als 25 km/h) sollte diese Änderung keine Auswirkungen haben, da schon im Jahr 2009 erlassmäßig klargestellt worden ist, dass davon ausgegangen werden kann, dass bei Fahrzeugen mit einer Nenndauerleistung von nicht mehr als 250 Watt die am Hinterrad (Antriebsrad) abgegebene Leistung nicht mehr als 600 Watt beträgt.“[4] Kurz: Es wird vom Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ein E-Scooter mit 600 Watt Maximalleistung ohnehin nicht mehr als 250 Watt Nenndauerleistung bringt. In den Augen vieler E-Scooter-Händler ist das eine Fehlannahme.
  • Die Folgen: Bleibt es bei dieser Version des Gesetzes, dürften viele zehntausende E-Scooter in Österreich mit einer Nenndauerleistung über 250 Watt nicht mehr im Straßenverkehr verwendet werden – genau genommen bereits seit 2019. Das könnte somit Folgen für alle privaten E-Scooter-Fahrer aber auch für viele Leih-E-Scooter-Anbieter haben, die zu einem großen Teil Modelle mit über 250 Watt Nenndauerleistung verwenden. Wer dennoch mit einem solchen Modell fährt, fährt ohne Zulassung. Das kann unserer Einschätzung nach bei einem Unfall mit Personenschaden schwerwiegende rechtliche und finanzielle Folgen haben, wie uns auch Mag. Matthias Wolf vom ÖAMTC bestätigt: „Wird mit einem nicht zum Verkehr zugelassenen E-Scooter ein Unfall verursacht, könnte man Gefahr laufen aufgrund der erhöhten Leistung „Mitschuld“ an der Unfallverursachung zu sein“.[8] Aber auch auf die Händler von E-Scootern könnten damit sehr unangenehme Folgen einhergehen. Und nicht zuletzt bleibt die interessante Frage: Entsprechen die E-Scooter, welche von der österreichischen Polizei angeschafft werden, der aktuellen Gesetzgebung?[6] Wir haben dazu eine Anfrage an das Innenministerium gestellt, die Antwort bringt allerdings noch keine erhellenden Erkenntnisse – die Antwort haben unten eingefügt.
  • Die Lösung: Eine „Verschrottungsprämie“ für alle E-Scooter über 250 Watt Nennleistung, um den raschen Umstieg auf gesetzeskonforme E-Scooter zu ermöglichen? 🙂 Realistischer ist (hoffentlich) eine „Reparatur“ dieses Gesetzes samt Übergangsphase, in der alle derzeit nicht-konformen E-Scooter toleriert werden. Womöglich muss/sollte man auch einen Blick nach Deutschland werfen: Dort wurde für E-Scooter eine eigene Fahrzeugklasse samt Verordnung geschaffen, E-Scooter werden damit nicht als Fahrräder definiert.[7] Mag. Matthias Wolf vom ÖAMTC-Rechtsdienst meint dazu auf Anfrage: „Um Rechtssicherheit zu bekommen, wird es wohl erst behördliche oder gar gerichtliche Entscheidungen brauchen.[8]

Welche E-Scooter sind von der 250 Watt-Begrenzung betroffen?

Die große Mehrheit der E-Scooter, die auch in Österreich verkauft und gefahren werden, sind mit mehr als 250 Watt Nenndauerleistung. Hier einige Beispiele beliebter E-Scooter, die nach aktueller KFG-Fassung nicht mehr für den öffentlichen Verkehr zugelassen sind:

  • Max G30D II: 350 Watt Nennleistung lt. technischer Info vieler Händler
  • Xiaomi Mi 1S: 300 Watt Nennleistung
  • Mi Scooter Pro 2: 300 Watt Nennleistung
  • XIAOMI Electric Scooter 4: 300 Watt Nennleistung
  • Tier-Leih-E-Scooter: laut Typenschild 467 Watt Nenndauerleistung (allerdings ohnehin Rückzug aus Wien)

Welche E-Scooter bis 250 Watt Nenndauerleistung gibt es?

Die Auswahl an Modellen unter 250 Watt Nenndauerleistung ist sehr beschränkt. Und es stellt sich die Frage, ob ein Scooter mit geringer Leistung wirklich zufriedenstellt und den Anforderungen im Alltag entsprechen kann. Hier beispielhaft einige E-Scooter mit bis zu 250 Watt Nennleistung lt. Händler bzw. Herstellerangaben – allerdings ohne Garantie, dass die übrige Ausstattung der StVO entspricht (seitliche Reflektoren, zwei Bremssysteme etc.):

Mehr zur Zulassung von E-Scootern in Österreich

Statement vom Rechtsdienst des ÖAMTC bezüglich E-Scooter-Situation in Österreich

Wir haben Mag. Matthias Wolf vom ÖAMTC (Rechtsdienste, Konsumentenschutz & Mitgliederinteressen) befragt, wie er die rechtliche Situation bezüglich E-Scooter in Österreich einschätzt. Unser Fazit daraus: 250 Watt Nenndauerleistung sind korrekt, aber in der Praxis kaum zu kontrollieren. Dennoch besteht Rechtsunsicherheit z.B. bei einem Unfall mit einem E-Scooter, solange es dazu keine behördliche oder gar gerichtliche Entscheidung gibt. Das Statement dazu im Original:

Die Grenzen für die sogenannte „Nichtanwendbarkeit“ des Kraftfahrgesetzes (KFG) wurden insofern neu definiert, als dass E-Scooter und E-Bikes nunmehr über 250 W maximale Nenndauerleistung und max. 25km/h Bauartgeschwindigkeit verfügen dürfen. Also dass für diese Fahrzeuge keine Zulassung, Haftplichtversicherung etc vorgeschrieben ist.

Lt. BMK sollte es durch diese „neue“ Grenze zu keiner Änderung für bestehende Fahrzeuge kommen, da schon im Jahr 2009 erlassmäßig klargestellt worden ist, dass bei Fahrzeugen mit einer Nenndauerleistung von nicht mehr als 250 Watt die am Hinterrad (Antriebsrad) abgegebene Leistung nicht mehr als 600 W beträgt. Fakt ist, dass es weder für E-Bikes noch für E-Scooter eine Art „Typenschein“ gibt und so die Feststellung der tatsächlichen Leistung oft nur durch spezielle Messgeräte möglich ist.

So stimmt es zwar, dass E-Scooter über 250 W Nenndauerleistung nicht mehr auf öffentlichen Straßen fahren dürfen, aber es dürfte nahezu unmöglich sein herauszufinden, wie lange der E-Scooter schon im Verkehr ist. Es gibt schließlich keine Pflicht, bspw den Beleg aufzubewahren. Und da es im Normalfall auch keine offiziellen „Papiere“ gibt, kann auch nicht eruiert werden, wieviel Leistung der E-Scooter tatsächlich erbringt. Es gibt auch keine „Pflichtangabe“ über die Leistung in der Betriebsanleitung oder am E-Scooter selbst.

Besondere Vorsicht ist auch im Hinblick auf Unfälle geboten: Wird mit einem nicht zum Verkehr zugelassenen E-Scooter (also über 250 W Nenndauerleistung und erst seit Inkrafttreten des Gesetzes im Verkehr) ein Unfall verursacht, könnte man Gefahr laufen aufgrund der erhöhten Leistung „Mitschuld“ an der Unfallverursachung zu sein.

Als ÖAMTC haben wir im Gesetzgebungsprozess auf diese praktischen Probleme hingewiesen. Leider wurden diese Punkte allerdings nicht ausreichend mitbedacht. Um Rechtssicherheit zu bekommen, wird es wohl erst behördliche oder gar gerichtliche Entscheidungen brauchen.

Mag. Matthias Wolf, ÖAMTC – Rechtsdienste, Konsumentenschutz & Mitgliederinteressen

Anfrage an das Innenministerium Österreich bezüglich Leistung der E-Scooter für die Polizei

Die österreichische Polizei soll mit E-Scootern ausgestattet werden[10], für den Beschaffungsprozess (noch laufend) ist das Bundesministerium für Inneres verantwortlich. Wir wollten wissen, welche Nenndauerleistung diese E-Scooter haben werden, um daraus Rückschlüsse auch für private E-Scooter-Fahrer ziehen zu können. Die Anfrage von uns erfolgte am 11.07.2023 und bracht vorläufig keine weiteren Erkenntnisse in Bezug auf die Nenndauerleistung. Sobald wir mehr Infos dazu erhalten, werden sie an dieser Stelle eingefügt. Auszug aus der Antwort vom 12.07.2023 von Rat Harald Sörös, B.A., M.A., Ressortsprecher des Bundesministeriums für Inneres:

Die Verwendung wird im zivilen Bereich erfolgen – man darf sich also keine polizei-gebrandeten Scooter mit uniformierten Kolleg/innen im Straßenbild vorstellen.

Selbstverständlich werden die Fahrzeuge den geltenden verkehrsrechtlichen Normen entsprechend angeschafft und verwendet. Um welche Modelle es sich im Detail handelt, wird sich im Zuge des Beschaffungsprozesses ergeben.

Rat Harald Sörös, B.A., M.A., Ressortsprecher des Bundesministeriums für Inneres (Österreich)

Meinungen und Statements von E-Scooter-Händlern aus Österreich

Welche Auswirkungen hat die 41. Novelle des KFG auf E-Scooter-Händler? Wir haben uns bei den E-Scooter-Händlern René Ruzafa-Schweinberger von mikrofahrzeuge.com und Bianca Halbknapp vom E-Scooter-Shop Halbknapp in Wien umgehört, wie sie die Situation bezüglich der 250 Watt Nenndauerleistung einschätzen und welche Auswirkungen sie erwarten.

Statement von E-Scooter-Händler René Ruzafa-Schweinberger von Mikrofahrzeuge

Das Ganze trifft uns als Händler und Importeur mit sofortiger Wirkung voll und ganz, auch mit fallenden Umsatzzahlen. Da das ganze Thema jedoch erst langsam an die Öffentlichkeit dringt, rechne ich zukünftig mit noch größeren Einbußen. Auch andere Kollegen wissen nicht, wie sie weitermachen sollen. Das schwierige ist die derzeitige Ungewissheit. Fakt ist aus meiner Sicht, dass die Mikromobilität in Österreich mit dieser Regelung zerstört wird. Durch die geringe Nenndauerleistung von 250 Watt ist ein sinnvoller Betrieb eines E-Scooters kaum möglich. Denn technisch ist ein E-Scooter nicht mit einem E-Bike vergleichbar: Statt eines Getriebe-Mittelmotor erfolgt der Antrieb beim E-Scooter meist über einen direkten bürstenlosen Radnabenmotor und wird voll elektronisch (ohne Tretunterstützung) angetrieben. Beim Pedelec ist zudem eine Gangschaltung verbaut, wodurch das Übersetzungsverhältnis das Drehmoment bestimmt. Nur mit einer Nenndauerleistung um die 600 Watt kann Mikro-E-Mobilität funktionieren, damit auch Steigungen erklommen werden können.

Die Lösung aus unserer Sicht: Wir fordern auf jeden Fall eine rasche Übergangslösung. Und es sollte schnellstmöglich eine Art Bestandschutz ausgesprochen werden für Fahrzeuge, die bereits mit max. 600W Nennleistung auf den Straßen unterwegs sind. Zukünftig sollte man die Thematik so behandeln wie in Deutschland (ekfv) – mit einer eigenen Fahrzeugklasse bzw. Verordnung für E-Scooter. Denn es ist keine Lösung, E Scooter dem Fahrrad gleichzustellen – da sich diese Fahrzeuge vom Aufbau, der Bedienung und den technischen Eigenschaften deutlich unterscheiden.

René Ruzafa-Schweinberger, CEO & Founder von mikrofahrzeuge.com

Statement von E-Scooter-Händlerin Bianca Halbknapp vom E-Scooter-Shop Halbknapp in Wien

Diese Neuerung ist für mich als Nutzer aber auch als Händler schockierend. Der tägliche Kontakt mit empörten sowie verunsicherten Kunden erfordert viel Zeit und gute Nerven. Vor allem sind die Stornierungen seit der Video-Veröffentlichung stark gestiegen und ich verzeichne bereits einen Umsatzrückgang von bis zu 50%. Spezialisiert habe ich mich auf hochwertige E-Scooter aber derzeit bietet der Markt keine qualitativ hochwertigen E-Scooter mit 250W Nenndauerleistung. Es ist fatal nur noch wenige Produkte aus dem Billigst-Sortiment als StVO-Konform anbieten zu können. Immerhin sind diese schwachen und billigen E-Scooter ein großer Rückschritt in Sachen Fahrsicherheit, Reichweite und Fahrkomfort.

Als preiswerte Lösung ohne Elektroschrott zu verursachen sehen wir für bestehende Geräte nur eine Übergangsfrist. Der Fokus liegt natürlich auch auf eine künftig praxisnahe Gesetzesänderung auf die bisher weitverbreitete Annahme der 600W Nenndauerleistung. Ein Blick zu den Nachbarländern beweist, dass dies sehr wohl möglich und umsetzbar ist. Gerichtsurteile die sich in ihren Aussagen zur Klassifizierung von E-Scootern widersprechen und man bekommt 8 verschiedene Meinungen von 5 Juristen, aber nichts Stichhaltiges. Ein sehr zermürbendes Unterfangen, welches Kunden, wenn Sie Nachforschungen anstellen, auch schnell rausfinden.

Der Markt für E-Scooter ist rasch gewachsen und nun ist es an der Zeit für praxisnahe und klare Gesetze, welche von allen Beteiligten verstanden werden und tatsächlich sinnvoll umsetzbar sind. Aktuell hat es den Anschein, dass Änderungen erst vorgenommen werden wenn es vor Gericht durchgekämpft wird. Muss wirklich erst was schlimmes passieren, damit sich was ändert?

Bianca Halbknapp, Inhaberin E-Scooter-Shop Halbknapp

Änderungsprotokoll

  • 13.07.2023: Anfrage an E-Scooter-Händler für Statements zur aktuellen Situation, Antworten eingefügt.
  • 11.07.2023: Quellen ergänzt. Antwort des Innenministeriums bezüglich Polizei-E-Scooter im Beitrag eingefügt.
  • 28.06.2023: Recherche und Interview mit E-Scooter-Händler bezüglich 250 Watt Nenndauerleistung bei E-Scootern in Österreich.

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